NEO: Der Haushaltsroboter im Strickpullover ist da

Das norwegisch-amerikanische Startup 1X Technologies öffnet die Vorbestellung für seinen humanoiden Roboter NEO. Doch der Weg zur komplett autonomen Haushaltshilfe ist noch weit.

Von humanoiden Robotern wird seit Jahrzehnten geträumt. Jetzt macht 1X Technologies Ernst: Am 28. Oktober 2025 startete das Unternehmen die Vorbestellung für NEO, einen humanoiden Haushaltsroboter, der ab 2026 in den USA ausgeliefert werden soll. Mit 20.000 US-Dollar Kaufpreis oder einem Abo-Modell für 499 Dollar monatlich positioniert sich das Startup zwischen Tech-Experiment und Massenmarkt-Ambition. Die Frage ist: Ist die Welt bereit für Roboter im Wohnzimmer?

Das Versprechen: Ein Roboter, der wirklich hilft

NEO soll Türen öffnen, Wäsche falten, Tische abwischen und die Küche aufräumen – gesteuert per App, Sprachbefehl oder im autonomen Modus. Mit 1,68 Metern Größe und 30 Kilogramm Gewicht wirkt der Roboter auf den ersten Blick wie eine schlanke menschliche Silhouette. Das weiche Äußere aus 3D-Polymer-Polsterung und ein Rollkragenpullover sollen ihn wohnzimmertauglich machen – eine bewusste Design-Entscheidung für Sicherheit und Akzeptanz.

Der NEO Roboter wendet sich einer älteren Dame zu, die an einer Nähmaschine sitzt

Technisch setzt 1X auf Differenzierung: Statt klassischer Motoren nutzt NEO die patentierte „Tendon Drive“-Technologie mit sehnenbasierten Kraftübertragungen, die sanfte, organische Bewegungen ermöglichen. Mit nur 22 Dezibel Betriebsgeräusch ist NEO leiser als ein moderner Kühlschrank. Die Hände verfügen über 22 Freiheitsgrade für „Human Level Dexterity“ und der Roboter kann bis zu 25 Kilogramm tragen.

CEO Bernt Børnich bringt die Vision auf den Punkt: „Humanoide waren lange Science-Fiction, dann Forschungsobjekte – mit NEO werden sie zum Produkt.“

Das Geschäftsmodell: Kauf, Abo oder Datenlieferant?

Die Preisstruktur zeigt, dass 1X verschiedene Kundengruppen anspricht. Early Adopter können für eine rückzahlbare Anzahlung von 200 Dollar reservieren, während das Abo-Modell die Einstiegshürde senkt – zumindest theoretisch. Bei 499 Dollar monatlich würde man nach knapp dreieinhalb Jahren den Kaufpreis erreichen.

Interessanter für Startups und Investoren ist das dahinterliegende Geschäftsmodell: NEO ist nicht nur Hardware, sondern eine Plattform für Datensammlung und kontinuierliches KI-Training. 1X setzt auf „Embodied Learning“, bei dem die Roboter in realen Umgebungen Daten sammeln, um ihre KI-Modelle zu verbessern. CEO Børnich kündigte an, bis Ende 2025 Tests in „ein paar Hundert bis ein paar Tausend“ Haushalten durchzuführen.

Diese Strategie erklärt auch den frühen Markteintritt: Die ersten Kunden sind nicht nur Nutzer, sondern auch Datenlieferanten für das Training der hauseigenen KI „Redwood AI“.

Video: Der NEO im Einsatz

Die Investoren: OpenAI, Samsung und das Billionen-Dollar-Versprechen

1X hat seit 2023 über 137 Millionen Dollar eingesammelt, darunter 23,5 Millionen Dollar in einer Serie A2 unter Führung von OpenAI und 100 Millionen Dollar in der Serie B mit EQT Ventures als Lead-Investor. Zu den weiteren Investoren zählen Tiger Global und Samsung NEXT.

Nach aktuellen Berichten strebt 1X nun eine weitere Finanzierungsrunde von bis zu 1 Milliarde Dollar an, bei einer Bewertung von über 10 Milliarden Dollar. Das wäre ein gewaltiger Sprung von der vorherigen Bewertung von 820 Millionen Dollar im Januar 2024.

Die Beteiligung von OpenAI ist dabei mehr als nur finanziell bedeutsam: Sie signalisiert, dass der ChatGPT-Entwickler humanoide Robotik als logische Erweiterung seiner KI-Strategie sieht. Allerdings entwickelt 1X laut CEO Børnich mittlerweile seine Kerntechnologie selbst.

NEO Roboter in den Darben grau, creme und schwarz

Die unbequeme Wahrheit: Der Mensch im Loop

Hier wird es kritisch. Bei komplexen Aufgaben steuert ein 1X-Mitarbeiter den Roboter noch aus der Ferne. Das sogenannte „Expert Mode“-System erlaubt es 1X-Technikern, NEO durch schwierige Tätigkeiten zu führen, während der Roboter lernt. Irgendwann soll das dann nicht mehr nötig sein.

In Tests benötigte NEO etwa eine Minute, um eine Wasserflasche aus drei Metern Entfernung zu holen, und fünf Minuten, um zwei Gläser und einen Löffel in die Spülmaschine zu räumen. Für Haushalte mit Zeitdruck ist das noch kein Durchbruch.

Børnich räumte ein, dass NEO „noch weit von kommerzieller Skalierung und Autonomie entfernt ist“. Das Unternehmen selbst sagt, NEO sei „nicht für jeden geeignet“ – Haushalte mit Kindern sind zunächst ausgeschlossen.

Datenschutz: Die Kameras in Ihrem Wohnzimmer

Die Fernsteuerung wirft natürlich Datenschutzfragen auf. NEO ist mit zwei 8-Megapixel-Kameras, vier Mikrofonen und drei Lautsprechern ausgestattet. Wenn ein 1X-Mitarbeiter eingreifen muss, erhält dieser Person Zugriff auf die Kamerafeeds in Ihrer Wohnung.

1X verspricht zwar, dass Nutzer Sperrzonen definieren können und die Fisheye-Kameras automatisch Gesichter verpixeln. Doch die grundsätzliche Frage bleibt: Wie viel Privatsphäre sind wir bereit, für einen Roboter aufzugeben, der unsere Teller abräumt?

NEO Roboter im Aktion (Ein Roboter hängt Wäsche auf und steht im Wohnzimmer)

Ein Unternehmenssprecher erklärte, dass Kunden entscheiden könnten, wann ein 1X-Mitarbeiter die Umgebung sehen darf. Das setzt allerdings voraus, dass Nutzer proaktiv ihre Einstellungen verwalten – eine Hürde, die viele unterschätzen.

Marktpotenzial: Zwischen Hype und Realität

1X differenziert sich bewusst von Wettbewerbern wie Tesla Optimus oder Boston Dynamics‘ Atlas, die primär auf industrielle Anwendungen abzielen. Der Fokus auf private Haushalte ist mutig – und riskant.

Der Markt für KI-gestützte Roboter wird laut MarketsAndMarkets von 6,9 Milliarden Dollar (2021) auf 35,3 Milliarden Dollar (2026) wachsen. Doch zwischen Marktprognosen und tatsächlicher Adoption liegt eine große Lücke.

Für Startups im Robotik-Ökosystem bieten sich dennoch Chancen:

  • Trainingsdaten-Services: Wer hilft dabei, Roboter effizienter zu trainieren?
  • Smart-Home-Integration: Welche Schnittstellen brauchen Roboter, um mit bestehenden Systemen zu kommunizieren?
  • Datenschutz-Lösungen: Es braucht Privacy-by-Design-Ansätze für Roboter mit Kameras und Mikrofonen.
  • Wartung und Support: Wer repariert einen 20.000-Dollar-Roboter, wenn er ausfällt?

Fazit: Ein wichtiger Schritt – aber kein Durchbruch

NEO markiert einen Wendepunkt: Erstmals wird ein humanoider Haushaltsroboter für Endkunden verfügbar – nicht nur als Konzept, sondern als vorbestellbares Produkt. Das ist bemerkenswert.

Gleichzeitig zeigt sich: Die Vision vom autonomen Roboterbutler bleibt vorerst Zukunftsmusik. NEO ist aktuell eher ein „Roboter-as-a-Service“ mit menschlicher Fernsteuerung als ein eigenständiger Agent. Die Kombination aus hohem Preis, eingeschränkter Autonomie und Datenschutzbedenken limitiert die kurzfristige Marktdurchdringung auf Early Adopter und gut betuchte Tech-Enthusiasten.

Für Investoren und Gründer ist NEO dennoch ein Weckruf: Die Konvergenz von Robotik, KI und Consumer-Hardware hat begonnen. Wer jetzt die richtigen Use Cases identifiziert, technologische Hürden adressiert und Vertrauen aufbaut, kann in diesem Markt früh Position beziehen.

Der Roboter im Strickpullover ist kein Hype mehr – aber auch noch keine Massenmarkt-Realität. Irgendwo dazwischen liegt die Zukunft. Und die beginnt 2026 in den USA, bevor sie 2027 nach Europa kommt.

Autor: Rico-Thore Kauert

Zeen Social Icons