Das Buch Ernas Unheil liegt aufgeschlagen auf einem Tisch. Daneben steht eine Kerze

Ernas Unheil: Dieses Bilderbuch spielt mit euch

Ende des 20sten Jahrhunderts waren sie ein Hit in vielen Kinderzimmern: Spielbücher. Darin erlebte der Leser eine Abenteuer- oder Fantasy-Geschichte, deren Handlung er selbst mitbestimmen konnte – am Ende eines Abschnitts durfte man eine Entscheidung treffen, blätterte dann zu einer anderen Seite und erfuhr die Konsequenzen. Dieses Prinzip bringen ein paar Berliner Spieleentwicklerinnen jetzt in die Moderne: Ernas Unheil verknüpft ein aufwendig illustriertes Spielbuch mit einer mobilen App, über die der Leser Rätsel löst und neue Informationen findet. Wir haben eine frühe Version des Spiels getestet und mit Aileen Auerbach (23) gesprochen, die bei Ernas Unheil für Game Programming und Projektmanagement zuständig ist.

Der Hund Oswald ist verschwunden. Was hat die grimmige Nachbarin Erna damit zu tun? (Bild aus der Vorab-Version)

Auf der Suche nach dem verschollenen Hund

Die Handlung ist schnell erzählt: Es ist der Geburtstag des Lesers und eines seiner tollsten Geschenke ist der kleine Hund Oswald. Doch in einem unbeobachteten Moment büxt der Welpe aus und versteckt sich ausgerechnet im Haus der gruseligen alten Nachbarin Erna. Die Mission ist klar: Oswald muss gerettet werden. Wie gut, dass ihr noch ein anderes Geschenk bekommen habt: Ein mysteriöses Buch, das euch bei eurem Abenteuer tatkräftig unterstützt…

Der Trailer gibt einen guten Überblick zum Spiel (offizieller Film des Entwickler-Studios)

Das Augmented-Reality-Abenteuer

Wie oben geschrieben, wird Ernas Unheil aus zwei Teilen bestehen: Einem gedruckten Bilderbuch mit rund 70 Seiten und einer App. Der Clou: Man kann das Spiel nur meistern, wenn man beides berücksichtigt. Wenn man die Handy- oder Tablet-Kamera über die Buchseiten hält, blendet sie manchmal neue Geheimnisse über den Illustrationen ein. Das funktioniert per Augmented Reality, einer Technologie, die in Echtzeit Informationen und Bilder über echte Objekte legen kann. Manchmal wechselt das Spiel auch komplett in die App, zaubert die Buchseiten kurzerhand auf den Bildschirm und lässt den Spieler Gegenstände in der Umgebung manipulieren. Das spielt sich im Ansatz wie ein Grafik-Adventure alter Lucas-Arts-Schule (Monkey Island, Day of the Tentacle) oder eines der beliebten Online-Escape-Games. Jede Entscheidung und Handlung hat dabei bestimmte Konsequenzen und führt den Leser zu neuen Buchseiten – oder auch manchmal geradewegs ins Game Over.

Ein Handybildschirm mit der App zu Ernas Unheil ist über dem Buch zum Spiel. Eine Hand bedient die App
Augmented-Reality-App und Buch ergänzen sich gegenseitig (Bild vom Entwickler-Studio)

Viele verschiedene Enden

Wie bei den klassischen Spielbüchern soll es auch bei Ernas Unheil zahlreiche Enden geben. Wer das Spiel perfekt absolvieren möchte, hat genug Anreiz, mehrmals von vorne anzufangen und noch genauer hinzuschauen. Das merken wir schon in der frühen Demo-Version des Spiels: Unachtsame Handlungen werden knallhart bestraft. Wer wichtige Hinweise z. B. auf giftige Pflanzen links liegen lässt, muss sich nicht wundern, wenn er den Hund Oswald nicht retten kann. Dem Entwickler-Team ist es laut Auerbach wichtig, dass aufmerksame Spieler belohnt werden: „Wir alle kannten diese Gänsehaut-Bücher, bei denen man durch Entscheidungen die Geschichte beeinflusst. Uns hat aber immer gestört, dass die Entscheidungen nicht nachvollziehbar waren. Das wollten wir anders machen. Bei uns kann man bei einem Ende – ob gut oder schlecht – immer nachvollziehen, was man vorher falsch oder richtig gemacht hat.“

Drei Illustrations-Phasen eines gezeichneten Wohnzimmers
Die Illustrationen verschlingen den Großteil der Entwicklungszeit (Bild vom Entwickler-Studio)

Aufwendige Gestaltung, moderne Technik

Zumindest die Version, die wir testen konnten, funktionierte schon gut und der Wechsel zwischen Buch und App wirkte nicht störend, sondern brachte eine interessante zweite Ebene in die Geschichte. Zwar gab es hier und da noch kleine Fehler bei der Bilderkennung der App, für eine frühe Demoversion lief das Spiel aber schon erstaunlich reibungslos. Was uns schon jetzt begeistert: Die tollen Illustrationen. Die Bilder und Figuren sind wunderschön gezeichnet und coloriert, besonders die Doppelseiten im Buch schaffen eine spannende und sogar ein bisschen unheimliche Atmosphäre. Laut Auerbach sind die Illustrationen auch der aufwändigste Teil bei der Entwicklung: „Eine Doppelseite für das Buch benötigt ca. 300 Arbeitsstunden. Wir haben drei Artists im Team, die sich nur darum kümmern und in einzelnen Schritten Graustufen zeichnen, Colorieren und Details sowie Charaktere einfügen.“ Die technischen Herausforderungen mit Augmented Reality seien im Vergleich deutlich leichter zu meistern.

Illustration aus dem Spiel Ernas Unheil - das düstere Haus der Nachbarin und ihr Garten sind zu sehen
Die Hintergründe enthalten viele versteckte Details und Geheimnisse (Screenshot aus der Vorab-Version)

Für Teenager und Erwachsene

Für wen ist Ernas Unheil gemacht? „Wir wollen hauptsächlich Kinder zwischen 12 und 15 Jahren ansprechen. Aber bisher haben wir auch von Erwachsenen schon sehr viel positives Feedback bekommen“, sagt Auerbach. Die 23Jährige ist selbst seit vielen Jahren begeisterte Spielerin und erzählt im Gespräch, dass sie schon Gameboy spielte, bevor sie lesen konnte.

Portraitfoto der Interview-Partnerin Aileen Auerbach
Bei Ernas Unheil zuständig für Game Programming und Projektmanagement: Aileen Auerbach (23)

Frauen-Power für Ernas Unheil

Nach mehreren Team-Änderungen arbeiten mittlerweile sechs (ehemalige) Studentinnen an Ernas Unheil, 2018 hat die Gruppe eine eigene Firma dafür gegründet: Trusty Potion. In der traditionell Männer-dominierten Gaming-Szene ist ein reines Frauen-Team immer noch die Ausnahme. Wir fragen Aileen Auerbach, ob sie einen besonderen Tipp für Frauen hat, die sich für den Bereich Computerspiel-Entwicklung interessieren: „Man sollte darauf vertrauen, was man kann und nicht zu schüchtern sein, andere anzusprechen. Die Games-Branche ist sehr kontaktfreudig und es gibt keinen Grund, sich zu verstecken“, berichtet die Programmiererin. Negative Erfahrungen hat die Gruppe bisher erfreulicherweise nur wenige gemacht – unter einem YouTube-Video mit dem Team gab es mal ein paar blöde Kommentare und persönliche Anfeindungen, aber „insgesamt bekommen wir aus der Games-Community sehr positives Feedback. Es glauben viele an uns und unser Spiel, das hilft enorm“, sagt Auerbach.

Die sechs Entwicklerinnen von Ernas Unheil
Trusty Potion, das Team hinter Ernas Unheil

Gestartet als Projekt an der HTW Berlin

Das Projekt Ernas Unheil begann 2016 an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, genauer gesagt im Studiengang Game Design: „Wir hatten während unseres Studiums verschiedene Praxisphasen, in denen man zwischen unterschiedlichen Themen für Projekte wählen konnte“, erzählt Aileen Auerbach. „Wir haben uns für ein Augmented-Reality-Buch entschieden, damit herumgespielt und erste Rätsel ausprobiert – das hat gut funktioniert. Im Laufe der Zeit haben wir diese Idee dann immer weiterentwickelt, bis wir schließlich das Konzept zu Ernas Unheil hatten.“ Und die Hochschule hilft dem Team von Trusty Potion immer noch: „Der DE:HIVE der HTW und unsere Coaches Prof. Susanne Brandhorst und Prof. Thomas Bremer unterstützen unser Projekt nach wie vor. Unsere Betreuer haben uns zum Beispiel auch bei der Bewerbung für den Deutschen Computerspielepreis geholfen. Außerdem bekommen ein Büro von dem DE:HIVE der HTW gestellt, in dem wir arbeiten dürfen.“

Ausgezeichnet mit dem Computerspielepreis

Noch ist das Spiel Ernas Unheil in der Entwicklung, einen ersten großen Erfolg kann das Team von Trusty Potion aber schon präsentieren: 2018 gewannen die Entwicklerinnen beim Deutschen Computerspielepreis den Nachwuchspreis mit Konzept. Bei der jährlichen Preisverleihung würdigt der Spiele-Verband game gemeinsam mit der Staatsministerin für Digitalisierung und dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die besten deutschen Computer-  und Videospiele.

Förderung beim Medienboard angestrebt

„Wir sind momentan intensiv in den Vorbereitungen, um uns beim Medienboard Berlin-Brandenburg zu bewerben“, sagt Aileen. Die Institution fördert neben Filmen auch den Bereich neue Medien, also auch Videospiele. Zusätzlich zu dieser möglichen Finanzspritze bemüht sich das Team von Trusty Potion, einen Verlag als Partner zu gewinnen, der das Buch zu Ernas Unheil druckt und verlegt.

Wann erscheint Ernas Unheil?

Aktuell arbeitet das Team an einer Demo-Version des Spiels, die bei Verlagen und anderen Organisationen vorgezeigt werden kann – wir durften eine Vorab-Version davon testen. Bis Ende 2020 soll Ernas Unheil dann komplett fertig entwickelt sein. Erste Ideen für die Zeit danach gibt es laut Aileen Auerbach auch schon: „Wir würden gerne ein weiteres AR-Buch entwickeln. Vielleicht machen wir eine Unheil-Reihe – das nächste Mal zum Beispiel mit einem Piraten als Hauptfigur.“

Wir halten euch auf dem Laufenden, sobald es Neuigkeiten zum Spiel gibt.

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